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Kristof Magnusson - Arztroman sowie ein Portrait des deuts

Verlag Antje Kunstmann

München, 2014

ISBN 978-3-88897-966-8

Preis: 19,95 Euro EUA 20,60

Der Verlag schreibt:

Anita Cornelius ist Notärztin an einem großen Berliner Krankenhaus und liebt ihren Beruf. Sich auf unerwartete Situationen einzustellen, entspricht ihren Temperament. Auch wenn es bei ihren Einsätzen nicht immer so aufregend zugeht, wie man sich das vorstellt. Anita ist das recht. Sie kann helfen. Und ab und zu sogar jemandem etwas Gutes tun. Adrian, ihr Exmann, ist Arzt am selben Krankenhaus. Sie haben sich erst vor Kurzem in bestem Einvernehmen getrennt, und Lukas, ihr vierzehnjähriger Sohn, lebt bei seinem Vater und dessen neuer Freundin Heidi. Hätte Anita Adrian nicht zufällig bewusstlos auf der Krankenhaustoilette gefunden, zugedröhnt mit einem Narkosemittel, und hätte Heidi nicht dauernd diese flotten Sprüche losgelassen, dass jeder seines Glückes Schmied ist, dass Arme und Kranke oft genug selbst an ihrem Zustand schuld sind, dann könnte sich Anita weiter vormachen: Alles ist in bester Ordnung. Ist es aber nicht. Weder privat noch beruflich.


Verena Lüthje von "Freunde skandinavischer Literatur" hat dieses Buch gelesen und auch seinen Erfolgsroman "Ich war das nicht" und portraitiert diesen Autor:


Schlicht und ergreifend nennt der Autor seinen zweiten Erfolgsroman "Arztroman", wie auch der Verlag das Cover recht schlicht, eher nüchtern, analog der uns bekannten Krankenhausatmosphäre, gestaltet hat. So ist auch die Realität, die Kristof Magnusson verblüffend authentisch in den Handlungssträngen reproduziert hat, wenngleich es immer ein Roman bleibt und der Unterhaltungswert dabei im Vordergrund steht. Der Autor, dessen Vater Isländer, die Mutter Deutsche ist, hat eine Blutdruck stabilisierende ruhige Sprache, in der er uns an diesem in Wellenbewegungen rasanten und entspannt komponierten Ausschnitt des Lebensweges der Notärztin Anita teilhaben lässt, die mehr will, als nur ein Lifestyleprodukt zu sein, auch wenn die Protagonistin hier und da in arge Bedrängnis gerät und zu Gunsten eines Patienten eine Entscheidung trifft, die eher sozialmedizinisch als medizinisch notwendig zu vertreten ist. Sie liebt ihren Beruf wirklich, sie geht darin auf, setzt sich für die Wahrhaftigkeit ein, die ihr eigen ist, und von der sie nur, meist durch Beeinflussung Dritter, abkommt, wenn Unmöglichkeiten verschwiegen werden sollen, weil die Folgen für andere nicht absehbar wären. Sie ist aber auch nicht unfehlbar, und das macht diese Figur so sympathisch; ihr rutscht auch das ein oder andere Wort heraus, das sie lieber für sich behalten haben sollte und gerät so in eine andere Bedrängnis, die ich als Leserin in dem Moment des Lesens sehr nah empfinden konnte und wer das als Autor erreicht, dass man als Lesende fast schon mit der Protagonistin verschmilzt, mit ihr mitzittert und auch das Geschehene durch das Zurückblättern im Buch auf Gedeih und Verderb nicht ungeschehen machen kann, um ihr irgendwie zu helfen, der schreibt wirklich sehr gut.


Und das kann Kristof Magnusson, der am Literaturinstitut Leipzig studiert hat und an der Universität Reykjavik, nachdem er eine Ausbildung als Kirchenmusiker absolvierte und in der New Yorker Obdachlosenhilfe tätig war und sein Talent zuerst mit seinem Roman "Zuhause" (2005), der mit dem Rauriser Literaturpreis ausgezeichnet wurde, bewiesen hat. Experimentierfreudig scheint der Autor schon als Jugendlicher gewesen zu sein, denn wer legt schon sein kleines Konfirmationsgeld in Aktien von Kali und Salz an, wie er Zeit online in einem Interview erläuterte, allein, nicht um damit reich zu werden, sondern es für seine Zeit in New York zu gebrauchen und vielleicht ist ihm dort schon die Grundidee zu seinem unschlagbar genialen Buch "Das war ich nicht" gekommen, denn darin versucht ein junger Banker bei einer Chicagoer Privatbank

Karriere als Trader zu machen, während gleichzeitig ein etablierter Autor sein Manuskript aufgrund seiner Schreibblockade nicht termingerecht abgeben kann, und seine deutsche Übersetzerin dadurch keinen Auftrag hat und finanziell am Stock geht. Diese drei kommen auf sehr spannende Weise zusammen und selten, wirklich sehr selten habe ich einen solchen Plotgewichtigen, und vor allem ununterbrochen rasant verfassten Roman gelesen, der mit süffisantem Humor nicht geizt und in meinen Augen ein Meisterstück ist. Dass am Ende etwas ganz großes in Chicago passiert, das wir aus der Wirklichkeit in ähnlicher Ausprägung kennen, mag reiner Zufall sein, und dass den Nichtbanker erstaunen lässt, so dass Magnusson am Ende durch Jasper auch Bochum das ziemlich verständlich erklären lässt.


Magnusson hat es geschafft, auch als Übersetzer aus dem Isländischen; eher als Hobby, wie er dem NDR versicherte. Aber schaue ich mir all seine Übersetzungen an, stapelt er doch ein wenig zu tief. Er hat Bücher von Hallgrimur Helgason, Einar Karason, Audur Jonsdottir, Steinar Bragi, Sigurbjörg Thrastardottir, Thorbergur Thordarson sowie die Saga-Aufnahmen und Die Saga von Grettir, übertragen. Vielseitig ist er, der inzwischen als Dozent am Literaturinstitut Leipzig lehrt, der dem deutschen, zeitgenössischen Roman einen sehr hohen Anspruch verleiht, dem die nächste Generation folgen sollte. Handwerklich gekonnt sind sowohl seine eigenen Werke als auch seine Übersetzungen und er trifft darin genau den richtigen Ton, weiß, was der Autor oder die Autorin aussagen wollte, und kann zum Isländischen immer nachfragen, im Deutschen nicht, wie er sagt, weshalb er nur aus dem Isländischen übersetzt, nie aus dem Deutschen.

Wie alle Bücher Magnussons am Ende eine tiefe Traurigkeit hervorrufen, dergestalt, dass ich als Leserin weiterlesen möchte und es doch nicht mehr kann, ist auch "Arztroman", das jüngste Werk, eines, das ich fast unvermittelt zuschlagen musste, während Anita mir mit all ihrem nachehelichen Kummer, der steten Sorge um ihren Sohn, der jetzt von ihrer Nachfolgerin weiter erzogen wird, und ihrem beruflichen Anspruch, den Menschen in erster Linie zu sehen, ans Herz gewachsen ist und ich ihre persönliche, oft glücklose Liebeswelt, mehr als nur gut verstehen kann.


Magnusson, der 1976 in Hamburg geboren ist, berauscht, denn nicht nur die herkömmlichen, durchaus ungesunden, nicht literarischen Mittel sorgen für einen solch abgehobenen Zustand, sondern gerade seine Literatur ist es, die uns gesund in eine andere Welt versetzt, die uns verführt, abführt, taumeln lässt, ja sogar süchtig nach dem Autor und seinen noch schlummernden Ideen werden lässt. Ja, er hat es geschafft, dass seine Bücher berühren, wenn wir aus dem Rausch heraus wieder das eigene Wohnzimmer erkennen, ja mehr noch, sie faszinieren, und die jeweilige Geschichte und die literarische Qualität sind zweifelsohne auf eine Stufe zu stellen.


Mehr über ihn auf: www.kristofmagnusson.de


 

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