Gard Sveen im Interview - Der letzte Pilger

Das ist er, der neue Autor am norwegischen Krimihimmel:
Gard Sveen.
Zu Besuch auf der Leipziger Buchmesse 2016 bei seinem deutschen Verlag List, der Ullsteinbuch
verlage.
Als wir uns mittags vor seiner Lesung beim Nordischen Forum am Verlagsstand trafen, herrschte an diesem Samstag Hochbetrieb.
Es waren so viele Besucher wie nie zuvor auf der Messe, an den etablierten Verlagsständen drängelten sich die Fans um die Autoren und wir konnten nichts anderes tun, als unsere Köpfe zusammen zu stecken, als schmiedeten wir einen Geheimbund, und auf ein funktionierendes Aufnahmegerät zu hoffen. Ich hoffte natürlich, unser Interview noch gut transkribieren zu können, aber es war schon eine Herausforderung, zumal wir das Interview auf Englisch geführt haben. Die Geräuschkulisse war enorm. Dennoch: Es war ein spannendes Gespräch und Gard Sveen ein äußerst sympathischer, charmanter und eloquenter Gesprächspartner.
Der Autor Gard Sveen, 1969 geboren, der als Staatwissenschaftler und Seniorberater im norwegischen Verteidigungsministerium arbeitet und der inzwischen in Norwegen mit dem Rivertonpreis 2013, dem Glass Key Award 2014 und dem Palle Rosenkrantz Prisen für den besten in Dänemark 2015 veröffentlichen Krimi (Der letzte Pilger) ausgezeichnet wurde, fing schon als kleiner Junge an, Abenteuerliteratur zu lesen.
Wen wundert es, es waren die Geschichten um Robin Hood bis hin zu Jack London, und er erinnerte sich daran, dass genau diese Geschichten für ihn eine große Inspiration waren und später las er mit eben solcher Begeisterung auch Hemingway, diese "very good literature".
Die Abenteuerliteratur faszinierte ihn derart, dass sogar seine heutige ExFrau ihn vor Jahren ermunterte zu schreiben, er würde bestimmt einen guten Autor abgeben, obwohl er bereits 35 Jahre alt war, wie er sagte. Ziemlich spät habe er mit dem Schreiben angefangen, wie er meinte, denn zuvor spielte er in einer Rockband Bassgitarre, nicht sehr gut, betonte er, so dass er die Argumente seiner Frau beherzigte und im Sommer 2004 anfing, einen Krimi zu schreiben.
Aber, so Gard Sveen, "it was a very, very, very bad attempt to write", und dieser seiner Meinung nach sehr erfolglose Schreibversuch war so fürchterlich, setzte er noch einen obenauf, dass er von allen Verlagen, insbesondere von den vier größten in Norwegen, abgelehnt wurde. Und plötzlich wurde ihm klar, dass er einen antreibenden Gedanken brauchte, etwas, über das er schreiben konnte, und weil er keinen zweiten erfolglosen Schreibversuch wollte, las er über Kriminalfälle.
Ihm war es wichtig, bei einem großen Verlag anzukommen, und als das geschah, wollten sie derart viele Änderungen am Manuskript, dass daraus die Idee zum "letzten Pilger" entstand. Das, so Sveen, wusste er zu schätzen, denn es folgten drei Jahre intensives Schreiben am "Pilger", aber einfach war das nicht, denn er hatte drei Kinder, seine Frau, seinen Beruf und das ganze Alltagsleben sollte nebenher auch noch gestaltet werden. Leider funktionierte das am Ende nicht, seine Ehe scheiterte.
Die Figur, die ihn antrieb zu schreiben, die ihn faszinierte, war der norwegische Widerstandskämpfer, Kai Holst, der im Juni 1945 auf bisher ungeklärte Weise ums Leben kam. Warum diese Figur?
"Ich wollte eine Story schreiben, die von der Geschichte inspiriert ist, denn Kai Holst war einer der größten und bekanntesten Widerstandskämpfer in Norwegen, der heute jedoch vollkommen vergessen ist. Und es gab Leute, die auch wollten, dass er vergessen bleibt. Viele Dossiers, Papiere und Archivakten in Norwegen und Schweden waren verschwunden und das Seltsame ist, dass ausgerechnet ein Freund von Kai Holst während der Widerstands, ein Mann namens Jens Christian Hauge, der später mit dreißig Jahren der jüngste Verteidigungsminister der Welt und Norwegens wurde, nichts dazu beitrug, um die Arbeit des Widerstandskämpfers Kai Holst öffentlich zu würdigen, zumal es Kai Holst war, der seinen Freund in die Widerstandsarbeit einführte. Im Gegenteil, das Schweigen von Hauge um den nie aufgeklärten und rätselhaften Tod seines Freundes löste Kritik aus. Ich denke, die Story um Kai Holst ist wahrscheinlich das dunkelste Geheimnis der Geschichte Norwegens."
Und gab es niemanden, der sich dieser Figur angenommen hat?
"Mitte der Neunziger Jahre gab es mal zwei Bücher, die über Kai Holst berichteten, doch sie waren politisch prekär, weil der Autor ebenfalls Verteidigungsminister war, und er war verwandt mit Kai Holst."
Nun ist "Der letzte Pilger" wesentlich populärer als ein Sachbuch...
"Ja, der letzte Pilger ist nun wesentlich populärer als reine Akteninhalte und die mittlerweile berühmteste Story in Norwegen, doch niemand wollte bisher mit mir darüber sprechen... was ein großes Problem war..."
Sie haben dieses dunkle Geheimnis in ein modernes Genre, dem Krimi, verpackt und somit einem breiten Publikum zum Lesen ermöglicht...
"Ja, sicher, ich konnte den Krimi nutzen, um die wahre, bekannte Geschichte mit der Fiktion zu verbinden, um die Figur ins Licht zu stellen und um die bestehenden "schwarzen Löcher" zu schließen."
Sie haben wie mir scheint ein gutes Herz, den vergessenen Protagonisten ins Licht der breiten Öffentlichkeit gestellt zu haben...
"Ich weiß nicht, aber die Preise, die ich bisher für diesen Krimi erhalten habe, zeigen mir das... und so erwähne ich Kai Holst sehr oft und er wird selbst von meiner eigenen Regierung wieder wahrgenommen und ich arbeite ja im Verteidigungsministerium und wir haben gerade ein Projekt aufgelegt, vergessene Widerstandshelden zu finden."
Nun gibt es einen weiteren Widerstandskämpfer in Ihrem Buch, Carl Oskar Krogh, wie verhält es sich mit ihm? Ist er auch eine reale Figur?
"Er ist mehr ein Mix aus einer realen und erdachten Figur. Hier gibt es etwas spezielles. Der Redakteur dieses Buches, der leider vor zwei Jahren verstorben ist, war Redakteur einer Dokumentation über den Widerstand, über Liquidationen während des Krieges und dieses Buch ist in den 1990er Jahren publiziert worden und da war ein großer Aufstand, als das Buch in Norwegen erschienen ist...
(leider kann ich hier nicht weiter transkribieren, da die Geräuschkulisse die Worte Gard Sveens überlagert, dennoch verstehe ich in etwa, dass Gard Sveen im Zusammenhang mit der Dokumentation im Fernsehen ziemlich müde war... aber warum? Da werden seine Worte erneut verschluckt, schade.)
Carl Oskar Krogh war ein Mann voller Power im Widerstand und das entschied die nächsten 40 Jahre entscheidend mit."
Die weitere Figur ist Agnes Gerner. Diese haben Sie nach der realen Schauspielerin Sonia Wigert ausgestaltet... und auch dänische Widerstandskämpferinnen zum Vorbild genommen. Warum haben Sie sich Sonia Wigert ausgesucht?
"Sonia Wigert war wahrscheinlich eine der berühmtesten Schauspielerinnen in Norwegen, sie war sehr attraktiv und sie hatte eine Beziehung zu dem deutschen Reichskommissar in Norwegen Josef Terboven, sie hatte eine gute Reputation, aber hat wahrscheinlich für den britischen Geheimdienst gearbeitet. Und so entstand mit den Figuren der dänischen Widerstandskämpferinnen diese Protagonistin Agnes Gerner als Doppelagentin."
Ich erzählte Gard Sveen, dass ich genau eine Szene im Buch mit Agnes Gerner überaus gelungen fand, in der sie zwei Morde begehen musste und das ich dies wie eine Filmszene wunderbar beschrieben fand. Ich hoffe, sein Buch wird verfilmt. Immerhin schreiben alle großen Zeitungen über seinen Krimi und dieses Buch wird hervorragend promoted.
Der letzte Pilger endet ja mit einem völlig unerwarteten Überraschungscoup. Nichts, aber auch rein gar nichts hätte uns dieses Ende durch den Verlauf der Story ahnen lassen. Wird das Ihr Markenzeichen, Ihre Bücher mit einem Paukenschlag zu beenden?
"Ich hoffe, das es so sein wird, aber das ist schwierig zu sagen, denn jedes Buch hat seine eigene Geschichte."

Links Günther Frauenlob, der Übersetzer, rechts Gard Sveen
Herr Sveen, Sie arbeiten nach wie vor im norwegischen Verteidigungsministerium...
"Ja, momentan habe ich mein drittes Buch beendet, das jetzt im August 2016 in Norwegen erscheinen wird und in 2018 in Deutschland erscheint. Da es jedoch schwierig ist, alles unter einen Hut zu bekommen, überlege ich, mit dem Beruf aufzuhören und ganz frei als Schriftsteller zu arbeiten."
Das zweite Buch, das bei uns in Deutschland übersetzt im Sommer 2017 erscheint, handelt unter anderem von Thomas Quick / Sture Bergwall, dem schwedischen Serienmörder, der keiner ist.
"Ja, das zweite Buch ist davon inspiriert, aber es ist ein Mix, in dem auch der norwegische Terrorist Anders Breivik eine Rolle spielt. Das dritte wird dann eine weitere Folge davon sein."
Eine letzte Frage: Wie beurteilen Sie gegenwärtig die Krimiszene in Norwegen?
"Es ist eine wirklich aufsteigende Szene, es gibt gut 50 Krimi-Autorinnen und Autoren, die diese Landschaft bestimmen, die von Jo Nesbo dominiert wird."
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Thank you very much.
Copyright der Fotos von der Messe: Verena Lüthje
