Hannes Råstam Der Fall Thomas Quick
Der Fall Thomas Quick
Die Erschaffung eines Serienkillers
Originaltitel: Fallet Thomas Quick Originalverlag: Ordfront Aus dem Schwedischen von Nike Karen Müller
Paperback, Klappenbroschur, 560 Seiten, 13,5 x 20,6 cm ISBN: 978-3-453-26881-4 Verlag: Heyne Hardcore
Erscheinungstermin 26. August 2013

Der Verlag schreibt:
Die wahre Geschichte eines unfassbaren Verbrechens
Thomas Quick ist das schlimmste Monster der schwedischen Geschichte – ein Serienkiller, Vergewaltiger, Sadist und Kannibale. So jedenfalls das Bild, das die Medien von ihm erschufen. In den Jahren zwischen 1992 und 2001 gesteht Thomas Quick dreißig Morde und wird für acht davon verurteilt. Nachdem immer wieder Zweifel an der tatsächlichen Schuld von Thomas Quick aufkommen, beginnt der bekannte Enthüllungsjournalist Hannes Råstam mit der Recherche. Das Ergebnis seiner Arbeit schlägt ein wie eine Bombe. Thomas Quick kann die Morde nicht begangen haben. Es gibt keinen haltbaren technischen Beweis. Thomas Quick ist unschuldig.
Nachdem sich auch Prominente wie Leif GW Persson oder Jan Guillou in die Diskussion einschalten, trifft sich 2008 der investigative Journalist Hannes Råstam mit Quick und arbeitet sich durch 50.000 Seiten Gerichtsprotokolle, Therapieaufzeichnungen und Polizeiverhöre. Sein Fazit: Es gibt keinen stichfesten Beweis für Thomas Quicks Schuld.
Verena Lüthje von "Freunde skandinavischer Literatur" hat dieses Sachbuch gelesen:
Im Interview des List Verlages mit dem Krimiautor Gard Sveen, das ich vorab zugeschickt bekommen hatte, verrät der Autor am Ende, dass sein zweiter Krimi um den Ermittler Tommy Bergmann etwas mit dem Fall Thomas Quick zu tun haben werde. So recherchierte ich vorab und fand dieses von Hannes Råstam im Heyne Hardcore Verlag erschienene Sachbuch über den wohl peinlichsten Justizskandal Schwedens, wenn nicht sogar weltweit. Das Ausmaß, das der investigative Journalist offen legt, "wie es der schwedischen Justiz in Zusammenarbeit mit der Psychiatrie gelang, aus einem psychisch schwer kranken Drogenabhängigen und Mythomanen einen Serienmörder zu machen", ist so unfassbar, dass man es kaum glauben mag. Hannes Råstam hat auch, wie Leif GW Persson in seiner Einleitung beschreibt, "ein Stück schwedische Rechtsgeschichte geschrieben und auf seinem Weg zur Wahrheit über Thomas Quick" alias Sture Bergwall ist ein Werk entstanden, "in dem berichtet wird, wie schwedische Polizeibeamte, Staatsanwälte, Anwälte und Richter - mit geneigter Unterstützung diverser Ärzte, Psychologen, eines sogenannten Experten für Gedächtnisfunktionen und viel zu vielen Journalisten und Gesichtern aus dem Kulturbereich - aus einem psychisch kranken Mythomanen den schlimmsten Serienmörder der Kriminalgeschichte machten. Das ist furchtbar, das ist die Wahrheit und das ist vollkommen phänomenaler Lesestoff."
In der Tat, kein Krimi, nicht einmal die Spitzenklasse aus den skandinavischen Ländern, kann ein Verbrechen so spannend darstellen, wie es der Autor in diesem Buch anhand seiner akribischen Recherchen getan hat. Das Verbrechen aber bestand allein aus der Tatsache, dass der von allen Offiziellen "herbeigesehnte" Serienmörder gar keiner war, sondern Mord für Mord zwar gestanden, tatsächlich jedoch nicht einen einzigen begannen hat, obwohl er in acht Fällen dafür verurteilt wurde. Insgesamt hat er dreißig Morde gestanden und keiner der Ermittler, Ärzte und Psychologen haben die Schuld auch dann nicht korrigierend angezweifelt, wenn widersprüchliche und nicht passende Aussagen des Killers protokolliert wurden, Ortsbegehungen zu völlig halt- und sinnlosen Wandertagen mutierten und immer wieder von Thomas Quick neue, angebliche Erinnerungslücken plötzlich mit Leben gefüllt wurden. Auf seinen von Seiten der Psychiatrie genehmigten Reisen nach Stockholm beispielsweise begab sich der Kranke in Bibliotheken und Büchereien, um in Tageszeitungen über berichtete Morde zu lesen, diese weiter zu recherchieren, sich einzuprägen und seltsamerweise dann deren Taten zu gestehen. So konnte er natürlich mit Täterwissen glänzen, aber das hätte jeder andere Leser auch gekonnt. Einzelheiten, Fakten, die nicht veröffentlicht waren, die aber nur der Täter hätte wissen können, wich Quick aus und berief sich auf seine angeblich grausame Kindheit und den damit verbundenen Gedächtnisproblemen. Zudem stand Quick, wie er Hannes Råstam gegenüber äußerte, täglich unter hohem Medikamenteneinfluss, der durch seine Drogenabhängigkeit bedingt, nötig war, jedoch wurden die Medikamente unkontrolliert und wunschgemäß verabreicht.
Liest man diese fast minutiöse Recherche von Råstam, glaubt man nicht, was die Protokolle der Ermittler hergeben, warum vielfach mit geschlossenen Fragen gearbeitet wurde und warum in den Befragungen dem Täter Material zugespielt wurde. Das Buch ist ein einziges Kopfschütteln und doch so unglaublich fesselnd, dass man wissen will, wie es Thomas Quick von Opfer zu Opfer immer wieder gelang, die ganze Maschinerie der Justiz zum Narren zu halten. Sicher, als Drogensüchtiger war er kein unschuldiges Blatt, aber ein verhältnismäßig unbedeutendes. Und hierin liegt die Krux: Er wollte jemand sein und Aufmerksamkeit erregen und dies gelang nicht mit einem profanen Banküberfall, der ihn in die Psychartrie brachte, wo er nur einer unter vielen war, ohne Profil. Es musste etwas geschehen, dachte sich Sture Bergwall, der sich den Namen Thomas Quick annahm und Stück für Stück in die Rolle und in die Haut eines Serienmörders schlüpfte und dann das hatte, was er brauchte: Zuwendung.
Wie schrieb schon Hjalmar Söderberg in "Doktor Glas": Man will geliebt werden, mangels dessen bewundert, mangels dessen gefürchtet, mangels dessen gehasst und verachtet. Man will irgendein Gefühl in den Menschen wecken. Die Seele schreckt vor der Leere zurück und sucht um jeden Preis Kontakt." (In der Übersetzung von Verena Reichel, Manesse Verlag, München 2012, S. 29) Dies sagt im Grunde alles aus und ist dem Vorwort voran gestellt.
Hannes Råstam hat in diesem Buch alle Beteiligten des Skandals namentlich genannt. Und nachdem der komplette Fall durch seine Recherchen und Filmdokumentation neu aufgerollt wurde und Thomas Quick in allen Fällen seiner Verurteilung für unschuldig erklärt wurde, kam nicht nur die Unfähigkeit aller Beteiligten ans Tageslicht, sondern einige von ihnen wurden danach noch befördert anstatt wie es in einigen Fällen angeraten wäre, der Vertuschung von Beweismaterial angeklagt zu werden.
Hier hackt eine der anderen Krähe kein Auge aus, nur so kann der Fortgang der Entwicklung dieses Skandals in der schwedischen Justiz mit dem nicht zustande gekommenen jurististischen Nachspiel erklärt werden. Das ist schon der zweite Skandal.
Hannes Råstam
© Cato Lein
Hannes Råstam (1955–2012) arbeitete als investigativer Journalist für den Sender SVT (Swedish Public Broadcasting) und produzierte über 15 Jahre einige der wichtigsten Dokumentarfilme über das schwedische Rechtssystem und Polizeiarbeit. Für seine Arbeit wurde er vielfach ausgezeichnet, unter anderem fünfmal mit dem Golden Spade (verliehen von der Organization of Investigative Journalists) und zweimal dem Great Journalist Award. Während der Schlussredaktion an seinem ersten Buch erlag Råstam einem Krebsleiden.