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Peter Englund Mord in der Sonntagsstrasse

Geschichte eines Verbrechens


rowohlt Berlin, Deutsche Erstausgabe Mai 2020, 335 Seiten, ISBN 978-3-7371-0016-8

Originaltitel "Söndagsvägen. Berättelsen om ett mord" im Verlag Natur & Kultur, Stockholm

Es sollte das perfekte Verbrechen sein, und es wurde ein Mord, der ein ganzes Land erschütterte. Schweden in seinen "Wunderjahren", als alles sicher und geregelt schien, die Zukunft verheißungsvoll, blickte in einen Abgrund. Im Juli 1965 wird eine junge Frau tot in ihrem Elternhaus an der idyllischen Sonntagsstraße in Stockholm gefunden. Die Ermittler stehen vor einem Rätsel. Was genau ist geschehen? Warum musste sie sterben? Und vor allem: Wer ist der Mörder? In der größten Polizeiaktion der Geschichte Schwedens gelingt es, einen jungen, Deutsch sprechenden Mann zu verhaften, der nach Schweden gekommen ist, um ein «arisches» Mädchen zu finden. Psychisch krank, aber hochintelligent, sucht er unter blonden und blauäugigen Frauen seine Opfer, die er nach einem genauen Plan perfekt töten will ...

Peter Englund, Historiker und Erzähler, versteht es wie kaum ein anderer, an einem Einzelfall eine ganze Epoche, ihre Brüche und Spannungen hinter den Fassaden lebendig werden zu lassen. Wie Truman Capote in «Kaltblütig» porträtiert er in einem wahren Verbrechen die moderne westliche Gesellschaft mitsamt ihren Gespenstern aus der Vergangenheit.


Verena Lüthje - Freunde skandinavischer Literatur - hat das Buch gelesen:


Schweden auf die Nation der Krimiliteraten zu reduzieren, wäre fatal, solange man dieses Buch nicht gelesen hat. Hier geht es um einen Kriminalfall, nur eben nicht als Roman konzipiert, sondern als Revue eines tatsächlich stattgefundenen Verbrechens, und gleichzeitig als ein Liveerlebnis einer Verbrechensaufklärung, sobald man die erste Seite des ersten Kapitels aufgeschlagen hat und aus den Aufzeichnungen des Täters liest, was dieser sich vorbereitend auf sein durchzuführendes Verbrechen notiert hat, als hielte man die Akte in der Hand.

Der Leser wird durch den kongenialen Erzähler Peter Englund, der sich bereits mit seinem dem Ersten Weltkrieg gewidmeten, auf Fakten basierenden Geschichtsepos "Schönheit und Schrecken" an die Spitze der schwedischen Literatur geschrieben hat, an die Hand genommen, und darf von Anfang an dabei sein, nachdem das Verbrechen an einer jungen Frau entdeckt wurde. "Es gab keinerlei Hinweise auf einen Einbruch oder ein Handgemenge: keine Unordnung, kein Blut, keine Verletzungen, nur eine tote Person in einem ordentlichen Bett. Außerdem zwei Tablettendöschen, die offenbar Schlafmittel enthielten. Und die Ringe, die sie sonst nie ablegte - war nicht auch das ein Zeichen von Abschied, von Trauer oder Enttäuschung?" Alles deutet auf Selbstmord. Nicht der geringste Anschein eines Mordes ist erkennbar. Gebetsmühlenartig werden alle Hinweise, Spuren, oder gerade die fehlenden Spuren, zusammengesetzt, neu sortiert, beleuchtet, nach rechts und links gedreht. Das perfekte Verbrechen oder doch Selbstmord? Die Verzweiflung des Ermittlers, Hauptkommissar GW Larsson, der natürlich ein Ergebnis abliefern will, erlebt der Leser unmittelbar mit, leidet wie er, und in dem Augenblick, als der Fall zu den Akten gelegt werden soll, überrollt ihn eine dynamische, unglaubliche Wendung bei der Aufklärung dieses seltsamen Todesfalles, der "die größte Polizeiaktion in der Geschichte des Landes auslöst". Ausreichend Biss und Diensteifer hat der Kommissar am Ende bewiesen, den zunächst aussichtslosen Fall abzuschließen.

Diese hervorragend recherchierte Aufklärung erlaubt dem Leser reale Einblicke in die Finessen der Kriminaltechnik, wie er sie derart detaillierter wohl kaum erfahren würde, und damit auch die Gewissheit erlangt, dass es kein perfektes Verbrechen geben kann, wenn Ermittler nur tief genug hinabsteigen in das Dunkle der Möglichkeiten. Es ist nicht immer nur das berühmte Haar, das einen Täter überführt. Spannend wie ein Krimi, informativ wie ein Sachbuch. Nur warum der Verlag das Wort "-strasse" im Titel mit "ss" und nicht mit einem "ß" geschrieben hat, obwohl dies im Klappentext richtig erfolgte, erschließt sich mir nicht. Das müsste mal ermittelt werden.


Dem rowohlt Berlin Verlag danke ich für die Überlassung des Buches recht herzlich.

 

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© 2017 by Freunde skandinavischer Literatur Kiel Verena Lüthje

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